„Nein, Kunst in den virtuellen Raum zu verlegen, ist nicht die Zukunft.“
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Borjana Ventzislavova stellt im Rahmen des virtuellen SOHO in Ottakring Kunstfestivals am 20. Juni eine Videoarbeit vor, in der sieben politische Akteur*Innen ein post-pandemisches Konzept für eine neues post-kapitalistisches, progressives Europa und eine neue international agierende Welt darstellen. Wir sprachen mit ihr über ihren „nEU New Deal“ und darüber, ob das Kunst in Zukunft weiterhin aus der Quarantäne zu sehen sein wird.
Interview: Nada El-Azar, Fotos: Mladen Penev
Was bedeutet der Titel„I deal, you deal, we all deal with the nEU new deal“ deiner Videoarbeit?
Der Titel leitet sich aus einer berühmten Filmszene aus dem Jim Jarmusch Film „Down by Law“ von 1986 ab, in der die drei Gefängnisinsassen Jack, Zack und Roberto den Satz „I scream, you scream, we all scream for ice cream“ wiederholend singen. Diese Strophe stammt ursprünglich aus einem amerikanischen Lied aus den 20er Jahren. Mich hat diese Szene schon als Teenager mit ihrer humorvollen Banalität fasziniert. Es sind viele Ebenen, die hier eine Bedeutung spielen, aber kurz zusammengefasst: die Insassen im Knast kurz vor ihrem Ausbruch, die alle einfach um ihr Eis schreien, hat mich sehr an die Problematiken unserer Zeit erinnert und besonders während der Quarantäne. Also es wäre Zeit, dass ich, du und wir alle um unsere "ice cream" schreien - also einen neuen Deal einfordern.
Was wird in der Videoarbeit passieren?
In dieser Videoarbeit werden sieben bekannte Politikerinnen und Politiker in der Zukunft ein Programm für die neue politische Ordnung vorstellen. Hauptsächlich wird ein neues Konzept für die Europäische Union vorgestellt, die als Basis für die neue Weltpolitik dienen sollte. Davor werden sie sich aber noch für die Fehler, wie z.B. ihre Ausgrenzung, Xenophobie, Sparmaßnamen, und auf Ausbeutung basierende Politik, die sie in der Vergangenheit und der Gegenwart begangen haben, entschuldigen. Es geht um eine absolute Transformation und Demokratisierung der europäischen Institutionen, mit konkreten Beispielen, die Ökologie, Ökonomie, soziale Fragen und Politik betreffen. Wie wird die EU in Zukunft kooperieren und wie soll mit bestimmten Gruppen innerhalb der Gesellschaft umgegangen werden? Das sind Fragen, die ich in der Arbeit angehe.
Was inspirierte dich zum neuen Konzept des nEU New Deals?
Sehr vieles basiert auf den Ideen verschiedener progressiven und linken Bewegungen wie „DiEM25 – Demokratie in Europa“, „Transform! Europe“, Progressive Internationale, AktivistInnen, ArbeiterInnen,-, BürgerInnen,- MigrantInnenbewegungen, sowie Noam Chomsky, Silvia Federici, Eileen Boris, Bernie Sanders, Thomas Piketty, und viele mehr. Ich habe mich bei meiner Recherche intensiv mit ihren Texten und Interviews befasst. Für die endgültige Konzipierung und Schreiben der Texte habe ich mich mit dem Autor und Politikwissenschaftler Ovid Pop zusammengeschlossen, der das Hauptprogramm, sowie einiger der politischen Reden zusammengefasst hat. Für die anderen Reden habe ich Personen eingeladen, die einen Bezug zu den jeweiligen Ländern der PolitkerInnen oder deren Sprache haben wie z.B. die Kunsthistorikern Dr. Renée Gadsden oder die Künstlerin Susanne Schuda. So werden die Reden noch authentischer. Schlussendlich spielen für die Videoarbeit eine große Rolle die SimultanübersetzerInnen, die selbst eine Migrationserfahrung haben und durch ihre Akzente wird wird nochmals der Ermächtigungsaspekt betont.
Gesellschaftliche Wandlungen können letztendlich nicht ohne wirtschaftliche Veränderungen vonstatten gehen. Wird darauf auch eingegangen?
Für den wirtschaftlichen Aspekt meines nEU New Deals habe ich mich stark mit den Ideen von Yanis Varoufakis, der auch Mitbegründer von DiEM25 ist, auseinandergesetzt. Auch der französischen Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty („Das Kapital im 21. Jahrhundert“) hat in den letzten Jahren in zwei Büchern Wirtschaftsmodelle mit historischem Rückblick präsentiert, die in dieser Form auch umsetzbar wären. Er macht realistische Vorschläge für Umverteilung, Versteuerung von Vermögen und Besitz, einem partizipativen Sozialismus im Sinne von Zirkulation der Macht und Besitzverteilung, und Mitbestimmung der ArbeitnehmerInnen.
Die Corona-Krise hat mit einem Mal die Stopptaste für die Globalisierung gedrückt. Noch nie waren Nationalstaaten in der EU stärker als jetzt. Und die Grenzen, sowohl Binnengrenzen, als auch die EU-Außengrenzen, waren plötzlich dicht. Wie begegnest du dieser Situation in deinem Zukunftsentwurf?
Das Konzept, das ich in der Arbeit vorstellen werde, klingt für viele sicherlich utopisch. Es ist das Gegenteil von dem, was gerade Realität ist. Aber es gibt viele, die schon seit Jahren auf diese Ziele hinarbeiten. Durch die Krise, die wir im Moment erleben, haben wir gesehen, wo die Brüche in unserem System liegen. Mir war es deshalb besonders wichtig, ein realistisch umsetzbares Programm vorzustellen. Es ist das, was gerade jetzt Sinn machen würde.
Viele zeitgenössische Museen beziehen in Ausstellungen beispielsweise feministische Aspekte ein, und geben Künstlerinnen und Künstlern aus Ländern, die vorher nicht im Fokus standen, eine Bühne. Hat sich der Kunstmarkt endlich geöffnet?
Das ist eine begrüßenswerte Veränderung in den Museen, wobei wenn man ihre Sammlungen anschauen würde, sieht man, dass es noch viel Zeit und Arbeit braucht, bis wirklich eine Gleichheit in der Repräsentation geschaffen wird. In der Landschaft der privaten Galerien hat sich noch nicht viel geändert. Der Kunstmarkt ist nach wie vor sehr konservativ. Vor einigen Monaten war ich auf einer Residency vom Bundeskanzleramt in New York. Dort hat man nicht von der „art world“ gesprochen, sondern von „art industries“. Kunst wird als ein Wirtschaftszweig gesehen, der Kapital kumuliert und Profit erzielt. Auf Inhalte und die ästhetischen Werte, sowie die Aspekte, weswegen Künstlerinnen und Künstler Kunst machen, wird nicht groß Wert gelegt. Es geht eben sehr stark darum, wie Kunst vermarktet wird. Und sie ist noch immer sehr elitär. Mir war es bei meiner Arbeit nicht nur wichtig, meine Vision umzusetzen, sondern auch was ich damit kommuniziere und bei wem sie ankommt.

Apropos Kunst als Wirtschaftszweig. In der Kulturnation Österreich trat jüngst die Kulturstaatssekretärin Ulrike Lunacek zurück, unter großen Buhrufen aus der Szene. Wie hast du die Hilfsmaßnahmen erlebt?
Da sind verschiedene Dinge schiefgelaufen. Prinzipiell hat es mit der Härtefonds das erste Mal schnell funktioniert, und das aber auch nicht für alle, und dann auch nicht wirklich. Worauf dieses Land so stolz ist, wurde in der Krise anfangs ein wenig vergessen. Über den Härtefonds habe ich mit Kollegen und Kolleginnen gesprochen. Wir verdienen alle unterschiedlich, oft kommen Stipendien und Preise auch nicht in der Steuererklärung vor, und wir sind trotzdem meistens als minderbeschäftigt eingestuft worden. Man hat gesehen: Für größere Konzerne und Firmen gab es schnelle konkrete Pläne und Hilfe, während Künstlerinnen und Künstler irgendwo vergessen wurden. In meinen Augen war es problematisch und ich hoffe, dass sich da etwas ändert. Und anderseits bin ich natürlich dankbar, dass es doch Möglichkeiten, wenn auch nicht die optimalen, gegeben hat.
SOHO in Ottakring wurde durch die Corona-Maßnahmen erstmals ins Internet verlegt. Wie reagiertest du darauf als teilnehmende Künstlerin?
Ich finde es sehr schade, dass SOHO in Ottakring nur online stattfindet, aber es war schwierig vorherzusehen, was kommen wird. Die Festivalvorbereitung ist sowohl für uns TeilnehmerInnen, die speziell neue Arbeiten dafür schaffen, als auch für das OrganisatorInnenteam sehr viel Arbeit und erfordert konkrete Vorplanung. Ursprünglich wollte ich ein Projekt umsetzen, das sich ganz stark mit Meinungs- und Pressefreiheit beschäftigt. Ich komme ja ursprünglich aus Bulgarien, einem Land, dass seit vielen Jahren den letzten Platz nicht nur in der EU, sondern auch in Europa, in Sachen Medien,- und Pressefreiheit einnimmt. Die meisten Medien sind im Besitz weniger Personen, die oftmals stark in korrupte und kriminelle Systeme eingebunden sind. Sie dienen der Medienlandschaft dazu, bestimmte Nachrichten zu veröffentlichen und Meinungen zu äußern. Kritik gegenüber der Regierung wird in den Medien nicht wirklich zugelassen, JournalistInnen werden gekündigt, einige sind schon auf mysteriöse Weise gestorben bzw. ermordert worden… Als klar wurde, dass SOHO ins Virtuelle verlegt wird, habe ich die Idee dann im globalen Kontexterweitert und daran angeknüpft, wie viele Menschen die Nachrichten und Pressekonferenzen von Politikerinnen und Politikern besonders in Zeiten von Corona mitverfolgen.
Sind Online-Angebote die Zukunft der Kunst?
Ich finde es schwierig, Kunst nur online zu präsentieren. Im Falle der „nEU New Deal“-Arbeit ist es eine denke ich gute Lösung, die Arbeit auch für das Netz konzipiert wurde. Aber ich arbeite unter anderem installativ, in dem physischen Raum wird alles anders kommuniziert und letztendlich auch rezipiert, als wenn man bei sich zuhause am Computer Arbeiten ansieht. Ich finde, dass wir alle in dieser Situation gesehen haben, wie wichtig das Analoge und das Physische, und auch der menschliche Kontakt ist. Nein, Kunst komplett in den virtuellen Raum zu verlegen, ist nicht die Zukunft. Aber eine positive Sache hat es gebracht: Viele Gespräche um die Kunst waren sichtbarer und besser abrufbar, statt sich in den Atelierräumen oder bei Vernissagen versteckt abzuspielen.
Zur Person:
Borjana Ventzislavova, *in Sofia, Bulgarien, und lebt in Wien. Diplom für Digitale Kunst an der Universität für angewandte Kunst Wien. Im Bereich Film, Bildenden,-- und Medienkunst untersucht sie die Relation zwischen Vorstellung, Imagination und realen Praktiken in verschiedenen sozialen und geographischen Räumen. Die Beschäftigung mit den Themen wie Identität, Marginalisierung des Individuums und unterschiedlicher sozialen Gruppen, Migration und Zusammenleben, alltägliche Abhängigkeiten und soziale Beziehungen stehen im Zentrum ihrer künstlerischen Arbeit. Teilnahme an zahlreichen internationalen Einzel- und Gruppenausstellungen, Film- und Medienfestivals. Ihre Arbeiten sind in privaten und öffentlichen Sammlungen vertreten.
"I deal, you deal, we all deal with the nEU new deal" wird am 20. Juni unter sohoinottakring.at abrufbar sein.
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